Das Wallis und seine Befestigungen

« On ne défend bien que ce que l’on connaît »

Commandant de corps Luc Fellay, ancien commandant des Forces Terrestres

„Gewisse Regionen sind fur die Befestigung geschaffen, andere weniger oder überhaupt nicht. Entscheidend ist in erster Linie die Beschaffenheit des Terrains, des Weiteren die geographische und strategische Lage in Bezug auf den jeweiligem Kampfplatz. Ein Engpass, eine Klus oder eine \”Passage obligé\” ziehen die Verstärkung des natiirlichen Hindernisses nach sich. Beim Durchqueren des Rhonetals stellt man fest, dass diese Schwerpunkte schon seit langer Zeit fast immer von einem Turm, Schloss oder Verteidigungselement kontrolliert werden.“

„Schon lange vor den Römern dienten der Grosse Sankt Bernhard und die Engnis von Saint-Mauric als wichtigste Verhindung über die Alpen. In Agaune, an einer Hauptverkehrsstrasse des Römischen Reichs gelegen, zogen oftmals Legionäre durch. Maurice, einer ihrer Anfüihrer, setzte seinen Namen eines Tages an die Stelle der alten keltischen Bezeichnung fur die Stadt. Ab dem Spätmittelalter wurden an strategischen Punkten des gesamten Tals Schlösser gebaut, welche die \”Passages obligés\” dominierten. Die Walliser Achse ist ein Musterbeispiel fur Verteidigung, hält man sich die Anlagen von Schloss Chillon. der Porte du Scex, der Schlösser von Aigle, Saint-Triphon und Saint-Maurice, die Türme von Bätiaz, Saillon und Saxon oder die beiden mächtigen Befestigungen Valère und Tourbillon in Sitten vorAugen. Jedes Mal steht eine operative Überlegung hinter dem jeweiligen Werk, möchte man doch die Kräfte eines potenziellen Gegners kanalisieren, die Achse kontrollieren, dem Gegner im Bedarfsfall den Weg versperren oder der Bewegung nur begrenzten Raum zugestehen. Sehr bald schon benutz man im Rhonetal die Befestigung als Mittel zur Verteidigung und Ergänzung eines von Natur aus bereits starken Geländes.“

„Mit der Gründung des Bundesstaates beginnt unter der Leitung von Guillaume-Henri Dufour im 19. Jahrhundert der Bau von Befestigungswerken, welcher ein Sinnbild des damit verbundenen Verteidigungswillens darstellt. Mit der Eröffnung der Alpenpässe (Simplon 1805/1807, San Bernardino 1818/1823 und Gotthard 1830) bekommt die Schweiz den Ruf eines \” Transitlandes \”. Dieser Ruf festigt sich durch den Bau der Eisenbahntunnels am Sankt Gotthard 1882, Simplon 1906 und Lötschberg 1913. Da das Land aufgrund seiner Durchlässe an strategischer Bedeutung gewinnt, muss es zusätzliche Anstrengungen zur Verteidigung unternehmen, will es die Herrschaft über jene Transitrouten nicht verlieren. Dies umso mehr, als sich Begehrlichkeiten der Nachbarn abzeichnen. Der neue Schweizer Bundesstaat ist umgehend um eine Sicherung des Territoriums bemüht. Da das Land jedoch aufgrund der Kriege, denen es als Schauplatz diente, ruiniert und mit dem politischen sowie administrativen Neuaufbau beschäftigt ist, kann es nicht viel ausrichten. Die Behörden entschliessen sich sehr rasch zu einer Befestigung des Engpasses von Saint-Maurice, und zwar lange bevor andere strategische Punkte des Territoriums überhaupt ins Auge gefasst werden. Erst später, mit der Eröffnung des Eisenbahntunnels, wird eine Befestigung am Gotthard iiberhaupt in Betracht gezogen und derjenigen im Unterwallis vorangestellt. Es ist deshalb verständlich, dass 1830 Guillaume-Henri Dufour, Oberst und Generalstabschef von General Guiguer aus Prangins, äusserst energisch und rasch reagiert, als die Bundesbehörden Massnahmen beschliessen, die die Verteidigung des Territoriums verstärken sollen. Angesichts der zunehmenden Spannungen, die durch die revolutionären Bewegungen in Frankreich, Italien und Deutschland bedingt sind, wollen die Behörden die Neutralität und Unverletzlichkeit der nationalen Grenzen sichern. Dies ist der Beginn der modernen Befestigungen im Wallis, am Engpass von Saint-Maurice und in der Schlucht von Gondo!“

„Später, im Jahr 1891, beauftragt das Eidgenössische Militärdepartement erneut unter dem Druck politischer Ereignisse, die als schwerwiegend eingestuft werden, den Geniechef der Armee mit der Erstellung eines Programms zur besseren Verteidigung des Engpasses von Saint-Maurice. Der Bericht wird bereits im August vorgelegt; ein Jahr lang folgen sich jedoch Berichte, Gegenberichte und Expertisen, die sich mit der Frage befassen, ob die Befestigung in Saint-Maurice oder Martigny errichtet werden soll.“

„Schliesslich fällt die Wahl auf Saint-Maurice. Es werden erste Vorkehrungen zum Kauf des Hotels in Dailly, dem Gelände oberhalb von Dailly (L’Aiguille) sowie der Ebene von Savatan getroffen. Aufgrund der Fortschritte bei der Artillerie wird die Verteidigung des Engpasses und seiner Umgebung von diesen beiden Standorten aus angelegt. Die Arbeiten werden mit beispielhafter Sorgfalt ausgeführt, so dass 1894 die gesamten Befestigungen der ersten Etappe der jungen Garnison von Saint-Maurice übergeben werden können. Im gleichen Jahr stellt sich auch die Frage nach dem Bau eines Sperrforts in Brig gegenüber dem Nordportal des zukünftigen Eisenbahntunnels. Aus Kostengriinden wird darauf verzichtet, aber bis Abschluss der Arbeiten 1906 werden Minenkammern und Tunneltore angebracht. Am Südhang des Simplons in Gondo werden die Infanterieanlagen aus dem 19. Jahrhundert ergänzt und verstärkt, was mit grossen Anstrengungen verbunden ist.“

„Die allgemeine Mobilmachung während dem Ersten Weltkrieg verleiht den Befestigungen beträchtlichen Auftrieb. Es ist die Zeit der Organisation und Aufrüstung der äusseren Verteidigungsanlagen, dies insbesondere mit der neuen Flankieranlage der Galerie du Scex. Da sich die Schwachpunkte eines Engpasses ausserdem oberhalb der jeweiligen Befestigung befinden, ist eine entsprechende Kontrolle unerlasslich. Zu diesem Zweck werden im Gebirge Unterstände und Waffenstellungen eingerichtet. Bis 1920 tragen diverse Verbesserungen zu einer Stärkung der Position Saint-Maurice bei. Dazu gehören der Bau unterirdischer Kasernen, bei denen die Erfahrungen von Verdun beüicksichtigt werden, das l.egen elektrischer Leitungen mit unterirdischem und unabhängigem Kraftwerk sowie die Erstellung von Baracken und Krankenrevieren fiir die Ausbildungszeit. Die sich in der Folge bis 1934 im ganzen Land ausbreitende pazifistische Grundstimmung wirkt sich auch auf die Befestigungen aus. Zahlreiche Artilleriegeschütze werden aufgehoben, und die fehlenden Baukredite bewirken Kapazitätseinbussen. Die vorhandenen Budgets reichen kaum zum Unterhalt der bestehenden Anlagen aus.“

„Unter dem Druck der politischen Ereignisse gilt es ab Anfang der Dreissigerjahre die verlorenen Jahre möglichst schnell aufzuholen. Dazu sind besondere Anstrengungen nötig, wie der Bundesrat beschlossen hat. Zur gleichen Zeit wird im Nachbarland Frankreich die berühmte Maginotlinie gebaut. Dieses Befestigungssystem, das nach dem Krieg zu heftigen Diskussionen Anlass gibt und für die Niederlage von 1940 verantwortlich gemacht wird, hat sich in der öffentlichen Vorkriegsmeinung leider zu einer Art mythischer Chinesischer Mauer entwickelt. Man erwartet von ihr alle möglichen Wunder, statt sie als Befestigung und somit als Ergänzung eines aktiven Verteidigungssystems zu betrachten.“

„Am 12. Juli 1940, also drei Wochen nach dem Waffenstillstand zwischen Frankreich und dem Gegner, ergreift General Guisan die Initiative. Er gibt den Befehl Widerstand zu leisten und stützt sich dabei auf ein Reduit, das um die drei Bastionen Sargans, Gotthard und Saint-Maurice angelegt wird. Bis 1950 wird ein beträchtlicher Einsatz geleistet. So werden nicht nur neue grosse Forts gebaut, um vor allem als Artillerieunterstützung fur die Truppen des Sektors zu dienen, sondern auch um dem gesamten Dispositiv wirkliche Tiefe zu verleihen. Die Befestigung von Saint-Maurice beginnt in Chillon und endet an der Grenze, am Grossen Sankt Bemhard. Ausserdem wird der Ausgang des Simplons in Brig befestigt. Moglich ist dies alles dank dem deutlichen Bekenntnis zu einer soliden und kohärenten Verteidigung, die auf einer grossen Dichte von Befestigungswerken und einem umfassenden Zerstörungsnetz aufbaut. War dem potenziellen Gegner der Eintrittspreis zu hoch? Hat die Abschreckung Wirkung gezeigt und die Befestigungsanlage die Prüfung bestanden ? Die Bevölkerung ist von den grossen Opfern geprägt, die sie ab 1936 erbringen muss. Über den rein materiellen Wert hinaus waren unsere Befestigungen ein Symbol für den Verteidigungswillen in schwierigen Zeiten und Ausdruck unserer Neutralität, die durch das Reduit militärisch zum Ausdruck gebracht wurde.“

„Die Nachkriegszeit ist durch das Erscheinen nuklearer Waffen auf den Kampfplätzen gekennzeichnet. Der Bau grosser Befestigungswerke geht zu Ende, da diese durch die allzu grosse Konzentration verwundbar sind. Die notwendige Dezentralisierung fiihrt zur Stilllegung grosser Anlagen, dies trotz der Entwicklung neuer und äusserst bemerkenswerter Feuerquellen wie der automatischen 15 cm Turm-Kanonen von Dailly. Die technologische Entwicklung und die Dynamik des modernen Kampfes durch die konsequente Nutzung der dritten Dimension bedingen eine vollständige Revision unseres Befestigungssystems. Die letzten aus der Garnison stammenden Truppenkorps (rgtfort 19 im Unterwallis und Fest Abt 26 im Oberwallis) werden Ende 1994 aufgelöst, was die Liquidierung zahlreicher Infanterie- und Artillerieforts zur Folge hat. Die veränderte Bedrohung nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges veranlassen den Generalstab der Armee dazu, die Verteidigungsstrukturen zu modifizieren und die Armée 95 einzuführen. Die Festungstruppen verlassen die grossen Felswerke und ubernehmen die Gesamtheit der Anlagen der permanenten Geländeverstärkung. Diese sind moderner, aber auch vermehrt auf grosse Sektoren verteilt. Die Versammlungen der Armeeangehörigen zu Beginn der Wiederholungskurse in Aigle, Saint-Maurice, Martigny, Orsières oder Brig gehören somit der Vergangenheit an. Dank den Schiessmöglichkeiten und der zur Verfügung gestellten optimalen Ausbildungsinfrastruktur werden die Waffenplatze von Sitten und Saint-Maurice noch bis Ende 2003 von den letzten Angehörigen der Festungstruppen benutzt. Und dann?“

„Obwohl die Einfiihrung des Richtplans der Armée XXI noch nicht definitiv ist, deutet alles darauf hin, dass die Prinzipien grösstmöglicher Modularität und Flexibilität beim Truppeneinsatz in Verbindung mit einer immer grösseren Mobilität das Ende der Festungstruppen bedeuten. Auch wenn einige moderne Bunker und gewisse Sprengobjekte bestehen bleiben, wird die Truppenzuteilung nur nach dem jeweiligen Bedarf erfolgen. Ein Kapitel der Walliser Militärgeschichte wird somit zu Ende gehen. Die Werke sind stillgelegt und verlassen. Natürlich wünscht sich niemand, dass sie eines Tages wieder zum Leben erweckt werden. Aber die Geschichte ist launisch, und wenn das Land eines Tages wieder befestigt werden muss, wird dies sicher im Wallis geschehen. Dieses von Natur aus starke Gelände bietet sich zur Verstärkung richtiggehend an!“

Publié avec l’autorisation du Commandant de corps Luc Fellay du 8.4.2004

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